Vom Himmel die Sterne

Buchseite und Rezensionen zu 'Vom Himmel die Sterne' von Jeannette Walls
4.2
4.2 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Vom Himmel die Sterne"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:448
EAN:9783455016284

Rezensionen zu "Vom Himmel die Sterne"

  1. Eine starke Frau in harten Zeiten

    Inhalt:
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    "Nach Mamas Tod, als kleines Mädchen, versuchte ich mit aller Kraft, den Duke als meinen größten Helden zu sehen, einen, der mir die Sterne vom Himmel holen kann. Es gab also vieles, was ich nicht sehen wollte. Eigentlich schon mein ganzes verdammtes Leben lang." (S. 399)

    Sallie Kincaid ist ca. 3 Jahre alt, als ihre Mutter unter mysteriösen Umständen stirbt. Ihr Vater, von allen nur "der Duke" genannt, ist ein mächtiger Mann im Claiborne County in Virginia zu Zeiten der amerikanischen Prohibition. Sie wächst bei ihm und ihrer Stiefmutter Jane auf mit ihrem neuen Halbbruder Eddie. Ihren Vater vergöttert sie. Doch dann passiert ein Unfall und sie wird zu ihrer Tante Faye auf Land gebracht. Erst mit 17 darf sie nach Hause zurück und freut sich. Doch dann stirbt ihr Vater und plötzlich muss sie sich nicht nur vielen neuen Herausforderungen stellen, sondern auch den vielen Familiengeheimnissen, die nach und nach zutage treten. Doch Sallie findet ihren eigenen Weg, sich in der harten, von Männern dominierten Welt zu behaupten.

    Mein Eindruck:
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    »Weißt du noch«, sagt sie, »wie du in Hatfield jedes Jahr gegen Ende des Winters mit der ersten Blutwurz des Jahres in der Hand nach Hause gerannt kamst? Diese Bergblumen sehen zart aus, aber sie sind zäh, und die kleine Blutwurz hat sich von nichts und niemandem aufhalten lassen, hat sich durch den gefrorenen Boden ans Licht gekämpft, um uns zu zeigen, dass der Frühling trotz der bitteren Kälte nah war. Du musst wie diese kleine Blutwurz sein, Sallie. Du musst dich durch Kälte und Dunkelheit nach oben kämpfen. Und wenn du es schon nicht für dich selbst tun willst, dann tu’s für diejenigen, die dich brauchen. Also iss.« (S. 204, Tante Faye zu Sallie)

    Ich war angesichts der Beschreibung unsicher, ob das ein Buch nach meinem Geschmack wäre. Doch kaum hatte ich die ersten Kapitel gelesen, übte die Handlung eine Sogwirkung auf mich aus. Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive von Sallie geschrieben. Man merkt ihr die Ehrfurcht an, mit der sie ihren Vater vergöttert und ihm nachzueifern versucht. Entsprechend enttäuscht ist sie, als er sie wegschickt, nachdem ihr Bruder einen Unfall hatte. Der Leser erlebt dabei die Zeit der Prohibition nach dem Ersten Weltkrieg direkt aus Sallies Perspektive mit. Man taucht ein in die Atmosphäre und lernt viel über die Lebensweise der Menschen zu dieser Zeit. Hier herrschten oft raue Sitten, Menschen brannten und schmuggelten illegal Alkohol, vor allem Whiskey, um über die Runden zu kommen. Es gab Bandenkriege unter den Whiskeybrennern und Frauen hatten in dieser Welt nicht viel zu sagen. Sallie aber schafft es, sich durchzusetzen, indem sie quasi "ihren Mann steht". Sie kann gut Auto fahren und schießen und läuft auch öfter in Männerkleidung durch die Gegend, sodass sie von allen Seiten Respekt erfährt. Aber, wie sie selber sagt: "Ich bin nicht furchtlos. Ich fürchte mich bloß vor anderen Dingen als die meisten Menschen." (S. 382)

    Hier ist der Punkt, in dem ich manchmal schwer Zugang zu ihr fand. Auf der einen Seite ist sie vom Tod naher Angehöriger erschüttert, aber greifbar und spürbar werden ihre Gefühle nicht beschrieben. Sie fürchtet sich vor Beziehungen, vor allem vor Männern, weil sie zu viele schlechte Erfahrungen in ihrem Umfeld mitbekommen hat. Sie will nie heiraten und doch gibt es den ein oder anderen Verehrer, dem sie etwas näher kommt. Aber das alles wird aus einer gewissen innerlichen Distanz heraus beschrieben. Ihr Handeln scheint stets vernünftig und nüchtern, auch wenn die Umstände oft dramatisch und tragisch sind, so konnte ich nie wirklich fühlen, was wohl in ihr vorging.
    Das ist der einzige Kritikpunkt. Ansonsten passieren so viele Dinge in diesem Roman, dass ich das Buch bis zum Ende kaum aus der Hand legen konnte. Es kommen immer mehr tiefe Abgründe aus der Vergangenheit des Duke hervor und ich habe Sallie bewundert, wie sie nie aufgibt, für alles eine Lösung findet und am Ende ihren Weg geht.
    Aufschlussreich war auch das Nachwort der Autorin, die darin erklärt, welche realen Figuren und Ereignisse für den Roman Pate gestanden haben. Ich habe dabei sehr viel über die Prohibition gelernt, über die ich bis dato noch nicht viel wusste.

    Fazit:
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    Sallie Kincaid ist eine Feministin zu Zeiten der Prohibition - spannend und aufschlussreich geschrieben!

  1. Familientragödien en masse

    Mein Lese-Eindruck:

    Der Roman versetzt uns in eine abgelegene Provinzstadt in Virginia vor 100 Jahren, in die Zeit der Prohibition, mit der die Regierung von Virginia die Herstellung und den Verkauf von Alkohol unter Strafe stellte. Die Folge waren illegale Brennereien und Schmuggelverkäufe, mit denen sich vor allem die verarmten Kleinbauern des Landes über Wasser hielten.

    Sallie Kincaid, die Protagonistin, wird in eine Familie hineingeboren, die ihren Reichtum auf dem schwunghaften Handel mit Whisky gründete und im Laufe der Zeit ein weitverzweigtes Firmenimperium entwickelte. Ihr Vater, allgemein nur der „Duke“ genannt, beherrscht nicht nur dieses Firmenimperium, sondern das gesamte County: die staatlichen Gesetze gelten hier nicht, sondern die Gesetze des Dukes, dem auch der Sheriff untersteht. Auch die Rechtsprechung liegt in seinem Ermessen ebenso wie die Sorge für ärmere Mitbürger. Kurz: er herrscht über den Landkreis wie ein mittelalterlicher Duke.

    In diesem paternalistischen Denken wächst Sallie auf, und sie ist stolz darauf, „eine Kincaid“ zu sein. Sie weiß, dass nur der männliche Erbe etwas gilt, und so übernimmt sie (nach damaliger Sicht) männliche Verhaltensweisen. Sie fährt rasant Auto, fürchtet weder Tod noch Teufel, will unabhängig sein und ihr eigenes Geld verdienen, geht souverän mit Schusswaffen um, und sie lehnt die traditionelle Frauenrolle in Ehe und Familie kategorisch ab. Dieses Klischee gestaltet die Autorin noch weiter aus: auch bei ihrer Kleidung passt Sallie sich der Männerwelt an. Sie bevorzugt Latzhosen und Flanellhemden und findet die „Männerwelt… ungemein anziehend“. Damit wird ein wesentliches Thema des Romans angeschlagen: die Position von Frauen in Gesellschaft und Familie. Frauen wird keine große Wertschätzung entgegengebracht; sie werden benutzt und bei Missfallen ausgetauscht oder entfernt. Es wundert nicht, dass Sallie sich diesem Weg (anfangs) verweigert, auch wenn sie ihre Weigerung mit Einsamkeit bezahlt.

    Leider fallen dann so banale Sätze wie „Das Wahlrecht zu bekommen war gut und schön, aber es sind Autos und Straßen, die das Leben von Frauen am stärksten verändert haben, weil sie ihnen die Freiheit gaben zu fahren, wohin sie wollten, ohne dafür die Hilfe eines Mannes zu brauchen, der das Pferd vor den Wagen spannt.“
    Auch das ist keine Kunst, und das hätten die Frauen durchaus gekonnt…

    Der Roman erzählt Sallies Jugend und schlägt dabei noch andere Themen an, die für Sallies Geschichte wichtig sind und die zur Diskussion einladen könnten wie z. B. der Spagat zwischen Loyalität und Gerechtigkeitsgefühl, oder das Verhältnis von Machtmissbrauch und Religion, Legalität und Illegalität. Diese Themen werden jedoch zugedeckt von einer mehr als komplizierten Familiengeschichte, in der in rasanter Abfolge eine Familientragödie die nächste jagt. Ein großer Reigen an Personen tritt auf und tritt (selten freiwillig) wieder ab, bis schließlich Sallie die Leitung des Familienimperiums zufällt. Völlig unreflektiert folgt sie dem Vorbild ihres Vaters und stellt sich wie er über das Gesetz-mit der Folge, dass der Leser nun eine ausführliche Räuberpistole liest, die, wie die Autorin versichert, an historischen Vorbildern orientiert ist: Bandenkrieg, Schießereien, Bombenattentate und dergleichen, und auch das in gewohnt rasanter Abfolge.

    Erst gegen Schluss setzt bei Sallie ansatzweise eine Reflexion über ihren Weg ein. Sie hat inzwischen die übermächtige Figur ihres Vaters demontieren müssen und fragt sich nun nach ihrem Verhältnis zum Gesetz. Auch wenn sie keine Konsequenzen aus dieser Frage zieht, so ist das doch ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass die Selbstjustiz sich dem demokratisch verabschiedeten Gesetz beugt.

  1. Geschichte mit viel Gefühl.

    Ich habe vor Jahren den autobiografischen Roman „Schloss aus Glas“ gelesen und seitdem leider nichts mehr von der Autorin. Als ich diesen Roman sah, musste ich zugreifen und wurde wieder einmal von dem tollen Schreibstil gefesselt.
    Sallie als Figur habe ich enorm ins Herz geschlossen, erst recht als die Innigkeit mit ihrem Vater verloren geht, nach dem dieser einen Sohn bekommt und dann lieber Eddie seine ganze Aufmerksamkeit schenkt.

    Sallie lässt uns an ihrem Leben über die Jahre vom Kind zur jungen starken Frau teilhaben und ist dabei zum Glück alles andere als mädchentypisch, sondern wild und unerschrocken. Ich hatte ab und zu Pippi Langstrumpf Vibes.

    Jeannette Walls überzeugt hier nicht nur mit einer liebenswerten Figur, die sehr authentisch rüberkommt, sondern auch mit einem fesselnden Schreibstil, der sich sehr angenehm lesen lässt.

    Fazit: Gefühlvoll, unterhaltsam, eindrücklich, so wie ich Bücher liebe. Gern spreche ich eine Empfehlung aus.

  1. 4
    10. Sep 2023 

    Tod und Schmerz und Lug und Trug und Dreck

    Der neue Roman von Jeannette Walls ist zugleich eine Familiengeschichte und das Porträt der Familie Kincaid in Claiborne County im ländlichen Virginia in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. An der Spitze steht der mächtige Duke Kincaid, von allen nur der Duke genannt. Es ist die Zeit der Prohibition, als durch den 18. Zusatzartikel zur Verfassung die Herstellung, der Verkauf und der Transport von Alkohol verboten ist. Die Regierung hat jedoch keine Möglichkeit, die Befolgung dieses Gesetzes auch durchzusetzen. So gibt es vor allem in den auf dem Land überall illegale Schnapsbrennereien, und die verarmte Mittel- und Unterschicht hält sich mit dem verbotenen Handel über Wasser. Auch der Duke hat seinen Reichtum u.a. auf diese Weise erworben.
    Die Familiengeschichte der Kincaids ist in dieser Generation besonders kompliziert, denn der Duke ist viermal verheiratet und hat mehrere Kinder aus diesen Beziehungen. Sallie, die Tochter aus seiner zweiten Ehe, wird von ihrer Stiefmutter zu ihrer Tante Faye, einer Schwester ihrer früh unter zunächst ungeklärten Umständen verstorbenen Mutter geschickt, nachdem sie den kleinen Bruder in Gefahr gebracht hat. Sie lebt neun Jahre in äußerster Armut bei der Tante, bis sie zur Betreuung des Bruders zurückkommen darf. Sie kämpft von da an mit Mut und Stärke um ihre Position in der Familie.
    Die gesellschaftliche Stellung von Frauen und ihre fehlende Wertschätzung sind eines der zentralen Themen des Romans. Daneben geht es um die wirtschaftlichen Spätfolgen des Krieges, Korruption und Bandenkriege. Sallie macht schlechte Erfahrungen mit den Männern, nicht nur mit ihrem Vater. Sie kann niemandem vertrauen und ist in ihrem Kampf weitgehend allein. “Der Tod scheint überall zu sein. Tod und Schmerz und Lug und Trug und Dreck.“ (S. 425) Im Lauf der Zeit kommen immer mehr Familiengeheimnisse ans Licht – vor allem über Mutter und Vater und die Tante.
    Ich habe den Roman gern gelesen, obwohl es nicht ganz einfach ist, den Überblick über die weitverzweigte Familie zu behalten. Dennoch bleibt für mich “Schloss aus Glas“ das beste Buch der Autorin.

  1. Sallie Kincaid – eine starke Frau

    Sallie Kincaid hat als Fünfjährige ihre Mutter verloren. Ihr Vater, der Duke, hat schnell wieder geheiratet. Sallies ist ihrer Stiefmutter ein Dorn im Auge, ganz besonders als Sallie mit ihrem Stiefbruder Eddie verunglückt. Dabei hat sie es nur gut gemeint und trotzdem muss sie das Anwesen in Caywood verlassen. Erst als sie siebzehn ist, darf sie nach dem Tod der Stiefmutter zurückkommen. Sie ist fest entschlossen, sich ihren Platz in der Familie zurückzuerobern. Doch dann stirbt der Duke und Sallie muss seinen Posten übernehmen und sich in einer Männerwelt durchsetzen.
    Dieser Roman der Autorin Jeannette Walls hat mich von Anfang an gepackt.
    Die Personen sind alle interessant und authentische dargestellt. Sallie ist ein starkes Mädchen, das ihren Vater vergöttert. Aber sie ist nur ein Mädchen und obwohl ihr Stiefbruder Eddie dem Duke zu schwach ist, soll er einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten. Der Duke selbst ist ein Mann der im Claiborne County wie ein König herrscht. Wenn es Probleme gibt, kommt man zu ihm und er löst sie, dafür braucht er kein Gericht. Seine Geschäfte sind nicht ganz legal, aber so ist das in der Zeit der Prohibition nun einmal. Als er stirbt, muss Sallie Hals über Kopf Verantwortung übernehme. Dabei machen ihr nicht nur alte Fehden zu schaffen, auch in ihrer Familie ist nicht jeder erfreut darüber, dass Sallie an die Stelle des Dukes tritt. Eine Frau soll halt heiraten und die Geschäfte den Männern überlassen. Doch Sallie ist stark, hat ihren eigenen Kopf und erträgt auch Rückschläge. Es geht um das Überleben von vielen Menschen im County und so tut sie, was getan werden muss. So nach und nach erfährt sie einige Familiengeheimnisse, die manche ihrer Einstellungen verändern.
    Es ist ein spannender Roman über eine starke junge Frau, der mich gut unterhalten hat. Empfehlenswert!